Thüringen - Millionenfür Microsoft Lizensen in Ämtern

Lars Herrmann lars.herrmann at gmx.net
Die Okt 9 12:26:12 CEST 2001


Rene Lange schrieb:
> 
> * Rene Lange zitiert sich selber:
> 
> > Was sagt Ihr denn dazu?
> 
> Wir hatten eine interessante Diskussion im IRC, ob es denn tatsächlich
> in Thüringen niemanden gibt, der den Ämtern ein Alternativangebot (in
> Form von freier Software) unterbreiten kann. Wir sprachen darüber, daß
> es doch irgendwie unsere Aufgabe ist, zumindest gegen die Entscheidung
> Einspruch zu erheben und Alternativen aufzuzeigen.

Die Diskussion hatte ich angestossen - da will ich mich nun doch mal
vorstellen.
Ich komme ursprünglich aus Gera, schreibe gerade in Leipzig meine
Diplomarbeit (BWL). Ich benutze Linux seit 98 und arbeite seit 99 als
IT-Consultant und führe also auch den "weg-mit-M$"-Kampf. Als ich
entdeckt hatte, dass sich ausgerechnet das Land Thüringen entblödet, dem
MS-Druck auch noch öffentlich nachzugeben und nicht wie allgemein üblich
in aller Stille die "notwendigen" Ausgaben zu tätigen, ging ich auf die
Suche nach potentiellen Mitstreitern in Thüringen. Und eine LUG ist da
ja wohl erster Anlaufpunkt.

Zum Thema:

Die neue Lizenzpolitik von MS ist alles andere als unumstritten. Sie
bietet einen dankbaren Ansatz für Öffentlichkeitsarbeit.
Neben der allgemeinen Preissteigerung ist insbesondere der Update-Zwang
ein heisses Eisen. MS kann aber derzeit davon ausgehen, dass sie diese
Massnahmen am Markt sowohl marktlich gesehen (weil keine Alternative)
als auch rechtlich gesehen (D ist nicht gerade erpicht, sich in die
Anti-Trust-Riege einzuordnen) durchzusetzen.

Wir sind uns sicher alle einig, dass zumindest in weiten Teilen eine
IT-Infrastruktur nicht, wie landläufig angenommen, von MS-Systemen
gestellt werden MUSS.

Es fragt sich also, wo könne man ansetzen, um MS etwas entgegenzusetzen.
Es geht ja um unser aller Steuergelder ;)
Aus meiner Erfahrung mit Trägern der öffentlichen Hand und der
Verwaltung sind 3 Punkte festzuhalten:

1. Die Beschaffung von IT-Systemen entzieht sich oft den sonst üblichen
Ausschreibungszwängen, meist wegen "Update" vorhandener Systeme.
2. Die Organisation ist nicht einheitlich geregelt: es gibt sowohl
zentrale Empfehlungen "von oben" wie auch weitgehend autarke Strukturen,
die die Möglichkeit hätten, selbst zu entscheiden.
3. Man kann davon ausgehen, dass aufgrund der eher mässigen Vergütung
und oft auch des fortgeschrittenen Alters der Fachkräfte der
Innovationsdruck und das Wissen nicht eben hoch ist.

Die Kombination der 3 Faktoren führt zu einem relativ planlosen
Vorgehen, das vor allem in der Beibehaltung von "Vorhandenem" und
punktueller "Innovation" liegt. Auch ist die Verwaltung nicht so
technisiert, wie man sich das wünschen würde. Nach meiner Kenntnis ist
in den Amtsstuben vom Unix-Terminal über MS-DOS-Anwendungen bis zu
NT-Netzen alles zu finden, was man sich so vorstellen kann. Und ja, die
Systeme sind genau so integriert, wie man das erwarten wird, nämlich
kaum bis gar nicht.
Die Anforderungen an die Systeme sind auch sehr uneinheitlich: sie
reichen von einfachem Brief-/Fernschreibenverkehr zwischen Dienststellen
aller Art über Spezialanwendungen (Geo-Systeme im Katasteramt,
Verkehrsüberwachung etc.) bis zu hochsensiblen Gesamtkunstwerken
(Buchhaltung, Finanzämter, Polizei-/LKA-Systeme).

Das könnte nun auch bis in alle Ewigkeit so bleiben, wären da nicht
gerade einige neue Tendenzen zu erkennen:

1. erhöhtes Sicherheitsbewusstsein bei Bürgern und Staat. Das BSI ist
recht rührig (www.bsi.de) vor allem in der "Elektrifizierung" von Daten
und Kommunikation.
2. Durch aktuelle Vorgänge (911) wird der Ruf nach mehr Sicherheit und
Transparenz im Umgang mit Dtaen lauter, was einen Vernetzungs- und
Integrationszwang erzeugt.
3. Der allgemeine Kostendruck und die zunehmende Attraktivität von
eGovernment erzeugt ienen Rationalisierungsdruck, möglichst ohne
Einbussen an der "Leistungsqualität" der öffentlichen Hand.

Vor allem letzteres sollte im Osten verstärkt wahrzunehmen sein.

Fragt man nun, wie man diese anstehenden Entscheidungsprozesse
beeinflussen kann, sehe ich zwei wesentliche Ansätze:

1. Per Öffentlichkeitsarbeit sollte Bürgern und Verwaltung inkl.
Entscheidern (auch direkt) die Existenz von Alternativen vermittelt
werden. Probleme der derzeitigen Struktur, also Leistungsfähigkeit,
Datensicherheit, Netzwerksicherheit etc. sollten "aufgedeckt" werden.
Hierbei ist man gar nicht gezwungen, MS direkt anzugehen, das erledigt
sich angesichts Ihrer Produktprobleme von selbst ;)
Es sollte versucht sein, in nachvollziehbarer Weise tatsächliche die TCO
zu vergleichen und allen Beteiligten die Angst vor Veränderungen mit
erhelblichen Kosteneinsparungen und Produktivitätssteigerungen zu
versüssen.

2. Gelingt es, über 1. einen Druck zu erzeugen, sollte die Machbarkeit
einer praktischen Umsetzung durch professionelle Anbieter nachgewiesen
werden. Man braucht also eine oder mehrere Firmen, die sich an
Ausschreibungen beteiligen, und deren Angebot das gesamte erforderliche
Leistungsspektrum umfasst, von der Installation über Wartung, Admin- und
Mitarbeiterschulung bis hin zum Angebot der Portierung von
Spezialsoftware.

Wie man sieht, geht dem zunächst der erste Schritt voraus, wobei eine
öffentliche Präsenz sicher hilfreich ist, solche Anbieter zu
akquirieren.

Die Bemühungen insbesondere um öffentliche Präsenz erfordern ein
Instrument und das könnte der angesprochene Verein sein.
Für die Nichtwisser eine kurze Zusammenfassung:

Um einen Verein zu gründen, braucht man >=7 Gründungsmitglieder, eine
Gründungsversammlung und eine Satzung. Das Gründungsprotokoll und Wahl
des Vorstands muss notariell beglaubigt werden, anschliessend erfolgt
mit der Satzung die Eintragung ins Vereinsregister des zust.
Amtsgerichts. Kosten ~100 DM.

Ein besonderer Status ergibt sich durch die Erlangung der
Gemeinnützigkeit. Dadurch kann der Verein direkt Spenden annehmen und
adäquat bestätigen(Spendenquittung). Ausserdem ist die Besteuerung
vereinfacht.

Ein Verein hat folgende Vorteile:
1. Man ist eine juristische Person un kann als solche medial und
wirtschaftlich auftreten.
2. Juristisch gesehen ist ein Verein eine GmbH ohne Grundkapital. Im
Falle der Insolvenz wird er einfach zahlungsunfähig erklärt und fertig
(grobe Fahrlässigkeit wie immer ausgenommen).
3. Ein Verein bietet einen instrumentalisierten Zugang zur
Interessengemeinschaft (Mitglieder, Ehrenmitglieder, "Freunde" und
Sponsoren).

Laufende Kosten entstehen lediglich durch Aktivitäten - unabhängig vom
jur. Status.
Einnahmen erzielt der Verein durch Mitgliedsbeiträge, Spenden und einen
sogenannten wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb. Auflage für letzteres:
keine Gewinnausschüttung, Aktivitäten nur satzungsgemäss.

Da ich die Zusammensetzung der TLUG und die Situation in Th. nicht so
gut einschätzen kann, frage ich Euch also, ob Ihr es für sinnvoll
haltet, mit dem Ziel einer weiteren Verbreitung von Open Source besagten
Verein zu gründen.

Ich würde IMHO die Aufgaben des Vereins wie folgt umreissen:

1. Öffentlichkeitsarbeit zum Thema OpenSource
- Aktivitäten wie bisher: InstallParties/Seminare/Vorträge
- Pressearbeit in Thüringen
- Angebot einer Kommunikations- und Informationsplattform im WWW
- direkte Ansprache von (potentiellen) Entscheidern (eine Art Vertrieb
zu ogigem)

2. direkte Hilfestellung
- Engagement in bereits existierenden Projekten
- z.B. lokale Betreuung von Linux-in-Schulen für Lehrer/Schulen(Support)
und Schüler (Vorträge etc.)
- beratende Tätigkeit auch für Firmen (eingeschränkt, im Sinne von
Erstkontakt mit OS)
- kann eingeschränkt auch richtig kommerziell sein und Vereinskasse
füllen

3. "politische" Tätigkeit
- Aufbau eines Thüringer Netzwerks, das alle potentiellen Interessenten
an einer OS-Verbreitung einschliesst, vor allem IT-Firmen, Hochschulen
usw.
- Unterstützung von (Linux)-Firmen beim Angebot von OS-Produkten durch
Vorbereitung von Allianzen und Kooperationen untereinander, mit
Distributoren und Firmen anderer Regionen (über LUG-Kontakte für den
Verein eher mgl.)
- Ansätze zur Unterscheidung von ähnlichen Akteueren ist die
Regionalität Thüringen und der Fokus auf OS.


Ich denke, das ist erstmal genug Futter für Diskussionen. Ich würde mich
freuen, wenn man mit genügend Mitstreitern in Thüringen etwas auf die
Beine stellen könnte.

Gruss aus Leipzig, wo bei dem Thema gleich die Sonne scheint :)

Lars Herrmann


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